Sesshaft in Flatanger (Norwegen 2012 – Teil 4)

Offizielles Felskletter Team des Deutschen Alpenvereins (DAV)

Sesshaft in Flatanger (Norwegen 2012 – Teil 4)

Nach unserem Bouldersuchroadtrip durch Nordnorwegen sind wir endlich  an unserem letzten Stop in Flatanger angekommen. Natürlich freuten wir uns mächtig darüber, unsere Zelte nicht mehr im Eintages-Rhythmus auf- und abbauen zu müssen.
Bei perfektestem Sonnenschein rannten wir ersteinmal zu der völlig überdimensionierten Hanshallaren Höhle.  Auf den ersten Eindruck denkt man sich, dass die Größe ja schon noch geht, doch wenn man dann über die Kuppe schaut und irgendwo nahe am Wandfuss die Umlenker von 35m Ausdauertouren sieht, wandert das Laktat schon vom blanken Hinschauen in die Arme. Doch natürlich lässt sich der Felskader von so etwas nicht abschrecken und rein gehts in die schönsten Touren. Vor allem unser überzeugter  Boulderer Axel überraschte durch die Linienwahl eines 35m langen Risses, welchen er sogar mit der dazugehörigen Verlängerung versuchte. Unser Musterathlet Alex hat sowieso keinen Respekt vor irgendwelchen Schwierigkeiten und boulderte gleich die Toplinien der Cave: Odin’s Eye (8c+) und Nordic Flower (8c+) durch, was sich vor allem für den jeweiligen Sicherer als harte Geduldsprobe herausstellt. Bald waren auch die ersten Erfolge zu vermelden und jeder hatte ein paar der Traumlinien in perfektestem Granit bezwungen.

  
Axel und Katinka in „Eventyrblanding“, 7c – Hanshalleren, Flatanger

Unser eigentliches Ziel war es jedoch nicht nur Linien zu wiederholen, sondern Neues zu finden und endlich mal unsere Bohrmaschinen einzusetzen. In der Cave selber gibt es zwar laut Adam Ondra noch massig Potential für neue Touren, aber wahrscheinlich eben auch NUR für Adam Ondra, da es sich meist um Verlängerungen zu bestehenden 8c+ oder 9a Routen handelt. Da wir jedoch auch die ein oder andere Tour klettern wollten, mussten wir also auch neue Felsen finden.
Von den überaus netten Farmern und Campingplatzbesitzern Olav und Berit, sowie dem Leiter der NorwegianBoltingFoundation Runar Carlsen bekamen wir den Tipp, dass es ca. eine dreiviertel Stunde entfernt eine weitere gigantische Höhle gibt. Somit war dies unser nächstes Ziel und tatsächlich war auch diese Höhle von gigantischem Ausmaß. Leider hatten wir den Eindruck, dass die Felsqualität hier nicht den Standard der Hanshelleren Höhle hat und entschieden uns nach einer Weile dafür, ersteinmal nach einer Wand mit besserer Felsqualität zu suchen. Und wir suchten nicht lange. Drei Stunden später und nach dem Hochrennen von vier weiteren Bergen stand eine Mega Wand vor uns. Ein perfektes 40 Meter hohes Schild mit einer schwarz-orangenen Musterung und marmorierten Seitgriffstrukturen. Optisch perfekt, aber auch schwer, sehr sehr schwer.
Eigentlich hatten wir uns schon entschieden diese Wand einzubohren. Da stolperten Alex und ich, auf der Suche nach einem Angelspot, an einer weiteren Wand vorbei, welche optisch schon von weitem beeindruckte. Natürlich konnten wir auch diese Wand nicht unbesichtigt belassen und rannten, wie zwei Kinder im Legoland, zum Wandfuss. Zuerst kamen wir an eine etwa 15m große Höhle, welche schon perfekt zum Klettern geeignet war. Eine Ecke weiter standen wir jedoch vor der perfekten Wand: 60m breit, 50m hoch, überhängend und voll mit perfektesten Granitstrukturen. Diese Wand MUSSTE eingebohrt werden! Nachdem wir um die Ecke noch zwei weitere perfekte Sektoren  gefunden hatten, war klar: Hier werden einige Akkus unserer Bohrmaschinen geleert.

 


Unser neues Massiv.

 

Am nächsten Tag rückten wir also mit der kompletten Mannschaft an, um die ersten Touren zu kreieren. Da es ein normaler norwegischer Tag war und somit mal wieder regnete, starteten wir damit, die kleinen (regengeschützten) Grotten im linken und rechten Teil von unten einzubohren. Routen von unten in ein Dach einzubohren bedeutet vor allem, möglichst überstreckt an irgendwelchen suspekten Sicherungen wie Skyhooks ein Loch zu bohren und einen Haken zu setzen. Gesteigert wird der Spaß natürlich noch durch den Bohrstaub in Augen, Haaren und Mund (Granitstaub schmeckt übrigens leicht bitter). Trotz allem macht es irgendwie verdammt Spaß, sich mal wieder richtig zu quälen und langsam eine Tour entstehen zu lassen. Der einzige Nachteil daran ist, dass man nach einem Tag bohren viel zu platt ist, die Touren auch zu klettern und ersteinmal einen Ruhetag benötigt.

 

  
Jochen und Tom bei der Arbeit.

 

Doch nach selbigem wurden dann die ersten brandneuen Routen geklettert. Miri konnte in der rechten Höhle mit “Aurora Borealis“ eine wunderschöne 7b+ erstbegehen und Katinka in der linken Höhle  ihre Tour bis zum Zwischenumlenker erstbegehen. Jochen, Axel und mir blieb der Erfolg leider vorerst verwehrt und die ersten Versuche endeten im Seil. Macht aber nix, wir wollen ja schließlich auch keine leichten Touren erstbegehen.
Mittlerweile war Runar Carlsen angekommen, welcher sich mit der NorwegianBoltingFoundation um das Einbohren von Felsen in Flatlanger und ganz Norwegen kümmert. Auch er war begeistert von unserem neuen Fels und machte uns das Angebot, einen neuen Fels in einer benachbarten Kommune mit ihm einzubohren. 20 Touren in zwei Tagen hieß die Aufgabe. Und schnell erfuhren wir, dass das Wetter in Norwegen beim Einbohren von Routen keine Rolle spielt.
So starteten wir bei nur leicht unterbrochenen Schauern damit, eine Wand einzubohren, welche mehr einem Wasserfall ähnelte, als einem Sportkletterfels. Das ganze erinnerte stark an Canyoning.

 

  
Bohren auf Norwegisch: Jochen und Runar Carlsen

Optimale Kleidung wäre wahrscheinlich ein Neoprenanzug gewesen. Doch gestaltete sich der Job etwas härter, wenn man wie ich nur völlig wasserdurchlässige Kleidung besitzt. Verstärkt wurde das Wohlbefinden durch ca. neun Grad und Wind. Wider Erwarten haben wir den Tag jedoch alle ohne ernsthafte Erkältung überstanden, was vielleicht auch an unserer vorzüglichen Übernachtungsmöglichkeit im Privathaus des lokalen Vorstands des Klattreklub von Namsos lag.
Doch auch das Finden dieses Hauses gestaltete sich nicht so einfach, da selbst Runar noch nie dort gewesen war. Nach einigem Suchen glaubten wir jedoch, das Haus gefunden zu haben und Runar ging voraus, um herauszufinden ob wir richtig waren. Da nicht abgeschlossen war und Licht brannte, inspizierten wir das Haus ersteinmal gründlich. Als wir im Flur Expressschlingen fanden kamen wir zu dem Entschluss, dass alles passte, machten es uns auf den Sofas bequem und kochten lecker Essen. Als später die Söhne des Hauses kamen hofften wir sehr stark, dass wir tatsächlich im richtigen  Haus waren. Wir waren richtig!
Am zweiten Tag des Bohrens lief es dann besser. Bei passablem Wetter schafften wir es tatsächlich die 20 Touren fertig zu bohren und hatten so erfolgreich dazu beigetragen einen neuen Fels für den Klattreklub in Norwegen zu erschließen.
Runar war auch sehr zufrieden mit unserer Arbeit und wir sind uns sicher, dass es nicht die letzte Zusammenarbeit mit der NorwegianBoltingFoundation war.
Zurück in Flatanger mussten wir jedoch auch nicht großartig auf Luxus  verzichten, da wir uns mittlerweile gemütlich in der Scheune eingerichtet hatten. Nachdem wir die Farmer hier noch einmal zum Essen eingeladen hatten, erklärten diese uns, dass wir während ihres Urlaubs das Haus und die Küche benutzen könnten.
Da selbst ein sechs wöchiger Trip irgendwann zu Ende geht, mussten wir uns nun langsam voll auf unsere Ziele konzentrieren. Während Alex sich die ca. 130m der hohen Wand abseilte und die ersten Umlenker setzte, versuchten Jochen und ich unsere Touren erstzubegehen. Nachdem ich auf Grund eines Griffausbruches noch nach der Crux meiner Tour runtergeflogen bin, konnte ich mich vier Versuche später doch noch die Tour hochkämpfen und unser Gebiet hat mit “Manni the Hassler“ seine erste 8a+. Auch Jochen kletterte sehr souverän durch seine Tour, doch erfasste ihn im Ausstiegsgelände der akute  Blitzpump und es war ihm leider nicht mehr vergönnt die Henkel kurz vor dem Umlenker festzuhalten. Wenige Tage später kämpfte sich Jochen dann abermals durch sein Projekt und dank optimierter Ausstiegssequenz war dieser dann auch kein Hindernis mehr. Mit “Crack the back“  ist so nicht nur die bisher schwerste Tour unseres jungen Massives entstanden sondern sicher auch eine der schönsten. Bewertungstechnisch waren wir uns nicht ganz sicher, doch denken wir, dass die Tour auf jeden Fall solide 8b+ sein könnte.

  
links: Tom bei der Erstbegehung von „Manni the Hassler“, 8a+
rechts: Jochen bei der Erstbegehung von „Crack the Back“, 8c

Unsere ersten Ziele waren also erreicht und wir können somit recht zufrieden auf den kompletten Trip zurück schauen. Insgesamt hatten wir eine wirklich coole Zeit. Wir haben super Boulder geklettert, super Touren erstbegangen, viel gesehen und viele coole Leute getroffen.
Doch vor allem nachdem wir nun die ersten Touren in der hohen Wand gebohrt  haben, die wir leider aufgrund des schlechten Wetters nicht mehr probieren konnten, sind wir uns sicher, dass wir bei der nächsten Möglichkeit (an Ostern) wieder nach Flatanger müssen.
The show will go on!

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